Carl Seifert, Landschaften (Ölbilder)

Hier sieht man Carl Seifert hoch auf einer Leiter bei der Arbeit an einem großformatigen Triptychon, das wahrscheinlich für die frühen 20er Jahre typisch ist. Er hat im Laufe der Zeit Wanddekorationen in vielen Schulen und Kasernen geschaffen, aber uns sind kaum Fotos dazu bekannt. Die aus dem Nebel aufsteigenden fast in anthroposophischer Eurhythmie gestalteten Bergkämme sind für diese Zeit charakteristisch und antworten den figürlichen Motiven: links dem rüstig ausschreitenden Wandersmann, der selig in der Natur Schlummernden rechts und in der Mitte dem jungen Familienglück.

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Der Christopherus, der mit einem „Jahrhundertschritt“ das Ufer erreicht, entsteigt einem Fluss mit fast völlig glatter, matt schimmernder Oberfläche. Solche tafelartigen Wasseroberflächen sollten zu einer Konstante in Carl Seiferts künstlerischer Handschrift werden. Vorgebildet fand ich sie auf Ludwig Richters bekanntem „Teich im Riesengebirge“ (1839, 63 x 88cm, Alte Nationalgalerie in Berlin)

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Flusslandschaft mit Christopherus, Öl auf Leinwand, 153 x 100cm, Privatbesitz

Das Baumstämmchen, das dem greisen Heiligen als Stütze dient, erinnert mit dem Haken seiner Wurzel an den Stamm, den der riesige Christopherus im Paulusdom von Münster hält, aber die Gesichtszüge sind in der damals üblichen Terminologie „ostisch“. Die Abendstimmung mit den Streifenwolken legt die Vermutung nahe, dass der Künstler bewusst oder unbewusst mit Reminiszenzen an die so genannte „Perle von Brabant“ in der Münchener Alten Pinakothek operierte, von der man heute annimmt, dass der frühe Niederländer Dieric Bouts sie geschaffen habe. Hier ist auch der einfache, schöne Akkord von leuchtendem Rot im Mantel und dem Ultramarin des Wassers vorgebildet, was bei dem Niederländer jedoch mehr ins Smaragdene spielt. Am reinsten tritt das Blau im Wams des Christuskindes in Erscheinung. Bezeichnend für Carl Seifert ist auch das Ineinander von stark räumlicher Wirkung und Gestaltung in der Fläche. So sind die Biegung im Baumstamm links vorn und die Biegung des Flusses auf einander bezogen, wiegen einander auf.

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Dieric Bouts, Die Perle von Brabant, 1467/68, Öl auf Holz, Seitentafeln 63 x 28cm, Mitteltafel 63 x 62cm

Das nächste Landschaftsbild, das ich hier vorstelle, ist später enstanden. Mit der Datierung tut man sich schwer, weil Carl Seifert sich nicht immer dazu bemüssigt fühlte, eine Signatur mit Jahreszahl zu hinterlassen. In dieser späteren Phase evozierte der Maler konkrete Landschaftserlebnisse, wobei er nie pleinair, vor der Natur malte, sondern in der mehr introvertierten Art des berühmten Romantikers Caspar David Friedrich, dass  eine intensive Vision der erlebten Landschaft nach einiger Zeit vor seinem geistigen Auge entstand.  Die Elbe erscheint mit ihrem violett schimmernden Wasser am rechten Gestade gewissermaßen als eigentlicher Grenzfluss zu den Slawen. Zu diesem Zeitpunkt war er noch, wohl dank der Beziehung zu seiner Frau, die Oberschlesierin war und sich bewusst als östlich erlebte, in Fühlung mit seinem westslawischen Wurzelgrund. Das half ihm, den eigenen Ton zu treffen. Später ging das über seiner Bewunderung beispielsweise für den Schwarzwälder Hans Thoma etwas verloren.

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Elbe bei Aken, Öl auf Pappe, 34 cm x 44 cm

Das ist ein Bild, das auch unsere östlichen Nachbarn verwandt berühren müsste (sehr viel mehr als die westlichen, oder gar die südlichen). Zugleich hat es mit dem niederdrückenden Himmel bei aller schwermütigen Sehnsucht in die Ferne, einem diffusen Licht entgegen, eine formale Kompaktheit, die man bei russischen Landschaftsbildern etwa so nicht finden wird. Die drei aufsteigenden Lanzen der Pappeln rechts setzen den Bewegungszug des Flusses fort über den Horizont hinaus.

Wie seine Landschaftsaquarelle sind auch die Ölgemälde Stillekonzentrate und werden in dem Maße, in dem die wirkliche Natur zurückgedrängt wird an Bedeutung gewinnen (in der Hinsicht vergleichbar der Funktion, die die klassische ostasiatische Kunst der Landschaftsdarstellung schon lange hat). Carl Seifert war etwas antisozial: er setzt beim Betrachter eine gewisse Fantasie voraus, um in seine Landschaften eintreten zu können. Bildhaft gesprochen verwahrt er sich vor dem Begeisterungsgebrüll von Sonntagsausflüglern, die sich an der „Stimmung“ einer Landschaft oder gar eines Sonnenuntergangs ergötzen.

Zur Bekräftigung möcht ich Rilkesche Verse der schlichteren Art anfügen:

Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort.
Sie sprechen alles so deutlich aus:
Und dieses heißt Hund und jenes heißt Haus,
und hier ist Beginn und das Ende ist dort.

Mich bangt auch ihr Sinn, ihr Spiel mit dem Spott,
sie wissen alles, was wird und war;
kein Berg ist ihnen mehr wunderbar;
ihr Garten und Gut grenzt grade an Gott.

Ich will immer warnen und wehren: Bleibt fern.
Die Dinge singen hör ich so gern.
Ihr rührt sie an: sie sind starr und stumm.
Ihr bringt mir alle die Dinge um.

Aus: Die frühen Gedichte (Gebet der Mädchen zur Maria)

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Große Winterlandschaft, 62 cm x 76,5 cm

Es gibt eine ganze Reihe von Landschaften mit tief verschneiten, verschwiegenen Tälern, die alle zurückgehen auf den Ort der Sommerfrische in der nördlichen Oberpfalz in Mähring bei Tirschenreuth unmittelbar an der Grenze zu Böhmen. Die Region wurde eben auch Ziel winterlicher Besuche. In diesem Bild ist ein leichtes rhythmisches Schwingen, das mich an das Tanzen einzelner Schneeflocken erinnert, nachdem das große Gestöber sich gelegt hat. Der Schnee ist belebt mit zarten Reflexen unterschiedlichster Couleur. Zarte, einsame Bäumchen sind wohl kaum realistisch, aber die Erkennungsmelodie des Malers. Sie können kaum die Lebendigkeit der Vision beeinträchtigen.