DIE LANDSCHAFTSAQUARELLE CARL SEIFERTS

In der Vorbereitung dieses Artikels habe ich mich dem zweifelhaften Vergnügen unterzogen, mich einmal im Internet umzutun, was da an Landschaften in Wasserfarben veröffentlicht ist. Obwohl ich Eingaben in allen wichtigen westlichen Sprachen gemacht habe, ist der Eindruck einigermaßen einheitlich. Interessant wäre noch, slawische Sprachen einzugeben. Nur sind die mir leider gar nicht geläufig.

Von den überall vertretenen skrupellosen Freunden der Farbenfreude muss man nicht eigens reden. Generell kann man sagen, dass Seiferts Aquarelle sich durch Sparsamkeit und Geschlossenheit der Vision auszeichnen. Er lädt sich vergleichsweise sehr wenig auf den Teller.

Seifert war Eidetiker und hat Landschaften nie Pleinair gemalt, weil er, wie er sagte, Zeit zum Ein- und Ausatmen der Landschaft brauchte. Er malte also eine Landschaft erst, wenn sie vor seinem inneren Auge wieder erstand.  Das berühmteste Beispiel für diese Art des Umgangs mit Landschaft war Caspar David Friedrich.  Mit dem ist er immer wieder mal verglichen worden.  Nur hat Seifert von vorne herein sehr viel kleinere Brötchen gebacken. Während bei Friedrich kahle, knorrige Eichen in stummer Verzweiflung die Hände gen Himmel recken, sind es bei Seifert junge Bäumchen, die „früh gereift und zart und traurig“ zu einem Leitmotiv seiner Landschaftsmalerei wurden.

Landschaft mit runder Wolke 33,5 cm x 24 cm

Landschaft mit runder Wolke 24 x 33,5 cm

Zusammen mit im Hintergrund dunkel verschwimmenden Bäumen und Büschen gehörten sie eine Zeit lang zum ständigen Mobiliar seiner Aquarelle.  Obwohl selbst rechtschaffen unmusikalisch, hatte ich mich als Jugendlicher erkeckt über die „musikalische Struktur“ dieser Bilder zu spekulieren. Man findet es nicht unwahrscheinlich, dass er dazu am Klavier improvisiert hat: die dünnen Bäumchen entsprechen der rechten, die dunklen Büsche der linken Hand.

Herbstlandschaft, 31,5 cm x 23 cm

Herbstlandschaft, 23 x 31,5 cm

Aus dem gleichen Jahr (1935) stammt dieses Herbstbild, einmal ohne kahle Bäumchen.- Die herbstlich braunen Bäume tanzen aus der Reihe, repräsentieren ein letztes, mattes Aufbäumen herbstlicher Farben, dem das lautlose Echo einer Wolke antwortet: ein poetischer Gedanke.

Das Bild ist so abstrakt, dass sich die Experten nicht ganz einig sind, ob wir im Vordergrund eine Sandlandschaft vor uns haben oder vielleicht schon den ersten Schnee, durch den die gefrorene Ackerkrume hindurch scheint.

Zartblau, 39 cm x 27 cm

Zartblau, 27 x 39 cm

Selbstverständlich sind die Bäumchen nicht immer kahl. Hier finde ich die Grazie bezaubernd, mit der sie zueinander stehen.  Für die etwas heiterere Stimmung des Ganzen ist die zartblaue Zone am Horizont wichtig. Und überhaupt: auf engstem Raum so viel davon – Raum!

Man möchte vor dem Bild emphatisch ausrufen: Kommt alle zu mir, die ihr vor lauter ausgelassener Farbenfreude bei, sagen wir, Franz Ackermann nicht mehr wisst, wo euch der Kopf steht, ich werde euch erquicken.

Birken im Dunst, 24,5 cm x 31,5 cm

Birken im Dunst, 31,5  x 24,5 cm

Hier noch zwei hochformatige Aquarelle, die leider stark vergilbt sind und die der Künstler selbst sehr schätzte.  Auch sie sind aus dem Jahr 1939 und nach einer mehrtägigen Bootsfahrt mit einem Freund auf irgendeinem Fluss in Mitteldeutschland zwischen Leipzig und Berlin entstanden. Um herauszufinden, um welchen Fluss es sich handelte, wären aufwändigere Recherchen notwendig, und ich weiß nicht, ob sich das lohnte.

Als Carl Seifert diese Bilder nach vielen Jahren in unserem Hause wieder sah, sagte er mir, es sei „heiliger Geist“ darin, man könne um die Bäume herumgehen. Die Präzision mit der die Binsenbänke,  das Wasser und die Bäume imaginiert sind, hat etwas Faszinierendes. Heute (damals nicht) kann man ähnliche Effekte in der Fotografie erreichen. Aber gemalt schlägt diese Art von „Wahr-scheinlichkeit“ ganz anders in den Bann.

Die Düne, 24 cm x 30,7 cm

Die Düne, 30,5 x 24 cm

Mein Neffe bemerkte vor diesen beiden Bildern ganz richtig, dass da ja fast nichts drauf ist.  Eben dies ist die Einladung zum konzentrierten Sehen. Glücklicherweise kann man in diesem Blog die Bilder so wunderbar vergrößern!  Die Tatsache, dass sich im Wasser die Pflanzen darüber so unerwartet spiegeln, ist fast eine Einladung zur philosophischen Reflektion. Es war vielleicht eine Tendenz, dass mit der Zeit das Poetische, Stimmungsmäßige zurücktrat und die reine Räumlichkeit für Seifert zur Hauptsache wurde.

Flusslandschaft, 47 cm x 34 cm

Flusslandschaft, 34 x 47 cm

Das ist eine spätere Flusslandschaft, wahrscheinlich aus den 50er Jahren, die technisch auch brillant ist, aber nicht mehr so ganz den eigenen Ton trifft.                                                          Peter Seifert jun.

MATER DOLOROSA

Heute möchte ich ganz herzlich Herrn Pfarrer Bernhard Schelenz von der katholischen Pfarrkirche St. Peter und Paul in Naumburg danken, der mir die Erlaubnis gegeben hat, Bilder von der „Pietà“ zu veröffentlichen, die im linken Ende der Vorhalle dieser Kirche steht. Die „Naumburger Meisterin“, wie wir sie familienintern scherzhaft nannten, Grete Tschaplowitz-Seifert, hat sie irgendwann im Laufe der 60er Jahre geschaffen.

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Mein Lehrer Rudolf Kuhn hat geistvolle Ausführungen zur Mehransichtigkeit von Skulpturen entwickelt. Eher zufällig entdeckte ich bei einem Besuch in Naumburg mit Freunden die Gruppe in der Ecke des Narthex, der Vorhalle, und habe dabei versäumt, darauf zu bestehen, dass das Andachtsbild in seiner Hauptansicht photographiert wird: die ist absolut frontal, bildmäßig.  Eine in dieser Hinsicht präzise Aufnahme haben wir deshalb bislang nicht.

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Die Auffassung der ganzen Gruppe ist mehr kubisch blockhaft. Weshalb ich nicht auf der Sicht von einem Winkel von 45° bestehen würde. Allgemeiner gesprochen ist die Seitenansicht aber wichtig. Wir kommen darauf.

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Die erste Erinnerung aus der Korrespondenz meiner Altvorderen ist, dass meine Großmutter unglücklich und nachhaltig verstimmt war, weil ihr Wunsch, dass ihre in Ton modellierte Plastik in Stein (vielleicht Steinguss?) umgesetzt werden sollte, nicht befolgt wurde. Ihre ganze Auffassung passe nicht zu einer Holzskulptur. Das Material spricht mit: der Schmerz versteinert, wohingegen eine hölzerne Umarmung nicht sehr fasziniert.

Theologisches Stirnrunzeln mag zu Recht die Tatsache verursachen, dass alle Zeichen der physischen Leiden fehlen: weder Dornenkrone noch Wundmale. Es kommt der Verdacht auf, dass hier eine Mutter ihren Mutterschmerz gestaltet hat und sich ganz energisch auf die seelische Seite der Sache konzentrierte. Ich weiß, dass sie sich mit Käthe Kollwitz und ihrer Auffassung des Themas befasst hat. Schließlich hatte sie immerhin den slawischen Witz im Namen mit ihr gemeinsam. Die 1937  geschaffene Kleinplastik wurde später auf Anregung von Helmut Kohl ins Große übertragen und reflektiert den Tod des im 1. Weltkrieg gefallenen Sohnes der Künstlerin. Beide Mütter sind betont unelegant, sollen sich vielleicht unbewußt von der „beltà italiana“ des übermächtigen Vorbilds des Michelangelo Buonarroti absetzen. Bei Käthe Kollwitz spielt auch ihr erklärt proletarisches Schönheitsideal eine Rolle, bei der sehr untersetzt sitzenden Mutter von Grete Tschaplowitz mag die eigene pyknische Physis im Hintergrund stehen. Sie war eine ganz schöne Matka und hatte im zuständigen sozialistischen Künstlerverband den nicht sehr schmeichelhaften Spitznamen „Brausefass“, weil sie zwar sehr umgänglich, aber auch für ihre Zornesausbrüche gefürchtet war: „das Weiche und Wilde der Slawen“, wie es Thomas Mann einmal sehr zutreffend genannt hat.

Bei Käthe Kollwitz ist das Kreatürliche, die direkte Beziehung zum Vorgang der Geburt sehr im Vordergrund. Bei  Barlach und auch bei der Kollwitz hat man manchmal den Eindruck, dass ihnen der Schock durch Darwins Evolutionstheorie doch sehr tief in den Knochen steckte. Doch es sind die wunderbaren Hände sowohl der Mutter als auch des Sohnes, die jede Anmutung von Affenliebe vergessen machen.

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Dieses Mahnmal ist gewissermaßen die sozialistische Wiedergutmachung für ein gräßlich hasserfülltes Diktum Bert Brechts – in Richtung Nazismus ausgestoßen: „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“

Die Rechte hat sie sinnend an den Mund geführt, vielleicht auch um sich ein Schluchzen zu verhalten; und um sich den Blick auf den zwar himmelwärts gerichteten, aber erloschenen oder gebrochenen Blick des Sohnes zu verdecken. (Auch wir sehen ihn nicht!)  Mit der linken hebt sie in einer wunderbar zarten Geste die leblosen Finger des Sohnes,  und ihr Sinnen geht vielleicht zurück zu der Zeit als er noch ein Säugling, ein Kleinkind war und sie mit seinen Fingerchen spielte. Das ist verhalten und erschütternd zugleich: ganz groß!

Kompositorische Festigkeit erhält die Gruppe an den Orthogonalen in Kopf und Hand: den Horizontalen im Handrücken der rechten Hand und in den Augenbrauen, den Vertikalen in ihrem Nasenrücken (und der Kehle des Sohnes).

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Während das Werk der Kollwitz durchaus als Rundplastik aufgefasst ist, hat die untersetzte Pietà meiner Großmutter wie gesagt eine kubische Qualität. In der frontalen Ansicht ist die Vertikale nachdrücklich in den fest aufstehenden Unterschenkeln betont; die Horizontale nicht weniger in den den Leichnam fest anziehenden Unterarmen.

Mir fällt dazu der berühmte „Kuss“  des rumänischen Bildhauers Konstantin Brancusi ein, der, auch wenn Brancusi das nie so unumwunden einbekannt hat, eine pointierte Erwiderung auf die gleichnamige Plastik Rodins ist, die etwa zwanzig Jahre früher entstanden war: bei jenem ein Wunderwerk französischer Feinnervigkeit – bei dem Rumänen schlagen die beiden Küssenden mit der elementaren Gewalt von Magnetblöcken aufeinander. Mag sein, dass das auch einen Unterschied bezeichnet zwischen französischer und slawischer Auffassung von Zärtlichkeit. Etwas davon ist auch in der Pietà der Tschaplowitz.

Zusätzlich muss man allerdings die abstrakt-gedankliche Auffassung bei dieser Gruppe betonen: die Entzogenheit des Sohnes wird dadurch zum Ausdruck gebracht, dass sein Oberkörper, Kopf, linker Arm und Knie einen Binnenraum umschließen, der der Mutter unzugänglich ist. Das verarbeitet auf eine moderne, nur im 20. Jahrhundert mögliche Weise intellektuell die überaus schmerzliche Erfahrung der Mutter: der Sohn, der ihr auch als Künstler ein lebensnotwendiges Gegenüber war, lebte zwar, aber zunehmend in einer ihr entzogenen Welt. So berührt sie den Toten in stummer Verzweiflung mit den Lippen; ihre Augen sind geschwollen und von Tränen blind.

                 P1000132Auch das Gesicht des Sohnes ist von Kümmernis gezeichnet, und sein Haupthaar fällt pfundschwer. Es geht nicht um Melancholie, sondern um Schwermut, ein Wort, für das es in den westeuropäischen Sprachen keine genaue Entsprechung gibt. Denken wir an das grandiose, stumme Pathos des Gekreuzigten von Velazquez, dem das schwarze Haar ins Gesicht fällt wie eine Sonnenfinsternis, wie ein „härener Sack“: das ist Schwärze, Melancholie.P1000125P1000126

„Wir alle fallen. Diese Hand da fällt./ Und sieh dir andre an: es ist in allen.“

Rainer Maria Rilke, Herbst, Buch der Lieder

Hier ein Bild von meiner Großmutter an einem kleinen Tonmodell für diese Gruppe:

Bozzetto für die Pietà 001

CARL SEIFERTS LETZTES BILD – BLAU DIE FARBE DER HOFFNUNG

Am Bootssteg, Öl auf Holz, 39 x 30,5 cm

Am Bootssteg, Öl auf Holz, 39 x 30,5 cm

Aus gegebenem Anlass möchte ich kurz das letzte Bild kommentieren, das Carl Seifert etwas behelfsmäßig auf eine Pressspanplatte gemalt hat, nachdem er aus Leipzig zu uns nach Münster übergesiedelt war, um seine letzten Lebensjahre bei uns zu verbringen. An seinem Lebensabend hat er ein Bild gemalt, in dem man Morgenluft wittert.  An diesem seidigen, kühlen Blau kann ich mich nicht leicht sattsehen, weil es so lichtvoll ist.

Das Bild ist auch deshalb so erstaunlich, weil in den Jahren zuvor Carl Seiferts Sujets immer kleinbürgerlicher geworden waren, mit einer immer  schummrigeren Palette gemalt. In der DDR wurde vieles, was nicht in den Kram passte, als kleinbürgerlich klassifiziert. Aber wie mein Vater nach seinem letzten Besuch in Leipzig  traurig bekannte, malte sein Vater nur noch Bilder „für kleine Leute“.

Und dann dieser einfache, wackelige Bootssteg und die lässig hingelehnte Gestalt. Das ist er selbst: gefühlte 30 Jahre alt. Wartet auf die große Reise, die Überfahrt. Der Zeitgeist in unseren Breiten hat die Tendenz, an ein Leben nach dem Tod nicht mehr zu glauben. Nach etlichen Jahrzehnten materiellen Wohllebens ist das höchste der Gefühle, sich wie ein alttestamentlicher Patriarch satt an Jahren zur Ruhe legen zu können. Man tendiert dazu, schon vor dem Tod spirituell zu verdämmern. Hier sehen wir das Alternativprogramm: ein greiser Jungmann.

GRETE TSCHAPLOWITZ SEIFERT, DIE SCHUBERT-STELE IN LEIPZIG (1929)

Schubertstele_IMG_2082c1_Foto_W.Schneider Schubertstele_P1030349_Foto_W.Schneider Schubertstele_P1030351_Foto_W.SchneiderHerr Prof. Dr. Werner Schneider aus Leipzig gab mir die freundliche Erlaubnis, seine Photos von der Schubert-Stele im Leipziger Clara-Zetkin-Park zu veröffentlichen. Ich zitiere von der Leipziger Webseite Notenspur: „Der Entwurf für das 3,8 m hohe Denkmal stammt von der in Leipzig ansässigen Bildhauerin und Malerin Margarete Tschaplowitz-Seifert (1889-1977). Die hohe, schlanke Stele besteht aus drei übereinander gesetzten Granitsteinblöcken, deren Querschnitt ein gleichschenkliges Dreieck bildet. Das Denkmal – nach dem in Stuttgart war es das zweite für Schubert in Deutschland – ist eines der ersten in Leipzig, in dem konsequent wesentliche Formvorstellungen der Moderne in der Monumentalplastik verwirklicht sind. Die Inschrift auf der Rückseite unter einer stilisierten fünfsaitigen Leier lautet:
DEM GENIUS FRANZ SCHUBERTS GEWEIHT
AUF ANREGUNG DES LEIPZIGER MÄNNERCHORS I. J. 1929.“

Meine Großmutter hat sich bei dem Reliefprofil eng an die beschwingten Zeichnungen des mit Schubert eng befreundeten Moritz von Schwind gehalten. Das war kluge Zurückhaltung und hat die unbekannten Zeichnungen ins Licht der Öffentlichkeit gebracht. Hier noch ein Bild von dem Tonmodell für dieses Relief:

Tonmodell für Schubertstele 001

schubertschubert bleistiftFreilich sollte nicht übersehen werden, dass die Künstlerin die Vorgaben des jungen Moritz von Schwind sehr eigenständig weiterentwickelt und akzentuiert hat. Bei den Zeichnungen des Freundes wird man die biographischen Schwulitäten und sexuellen Mißgeschicke des feisten jungen Mannes immer im Auge behalten. Die Tschaplowitz leugnet zwar nicht die physiognomischen Tatsachen, aber sie nimmt dem Mund die Weichlichkeit, das Kinn wird energisch, die Lippen haben Festigkeit, östliche Herbheit, beinahe Schärfe. Die Nase bekommt etwas jäh Vorspringendes und das große Ohr ist von seltener Formvollendung. Vor allem aber wird die voluminöse Haarpracht, die die pyknische Konstitution, die Dicklichkeit vergessen macht oder besser: überwölbt und übertrumpft, zum Gleichnis für die geistige Potenz des Genies. Anders als Auguste Rodin, der in seinen Marmorskulpturen die Köpfe pathetisch dem unbehauenen Stein entgegensetzt, sie ihm entreißt, lässt sie die Locken in den rauen Stein übergehen, mit ihm eins werden. Zwar ist das Denkmal modern, indem es die ausgelutschte Denkmalrhetorik hinter sich lässt, andererseits in der Auffassung aber konservativ, weil es an der Überzeugung vom Genie als großem Menschen festhält, in einer Zeit, als immer mehr „Maudits“ und Morphinisten das Bild in der Kunstszene bestimmten. Mir ist eine über vierzig Jahre alte Formulierung erinnerlich, die eine Kostprobe des souveränen Spotts meiner Großmutter ist: Seit den 20er Jahren  sei es üblich geworden, „das eigene verschrobene Innere teils triumphierend, teils klagend“ zur Schau zu stellen. In ihren Augen sollte der Künstler wohl nicht zur Schau stellen, sondern umwandeln, verarbeiten.

Vielleicht sollte man noch hinzufügen, dass Grete Tschaplowitz sicher auch eine landesmannschaftliche Nähe zu Schubert fühlte, dessen beide Eltern aus Regionen des alten Österreichs stammten, die ihrer oberschlesischen Heimat sehr nahe waren.

Peter Seifert jun.

DIE LANDSCHAFTSAQUARELLE CARL SEIFERTS

In der Vorbereitung dieses Artikels habe ich mich dem zweifelhaften Vergnügen unterzogen, mich einmal im Internet umzutun, was da an Landschaften in Wasserfarben veröffentlicht ist. Obwohl ich Eingaben in allen wichtigen westlichen Sprachen gemacht habe, ist der Eindruck einigermaßen einheitlich. Interessant wäre noch, slawische Sprachen einzugeben. Nur sind die mir leider gar nicht geläufig.

Von den überall vertretenen skrupellosen Freunden der Farbenfreude muss man nicht eigens reden. Generell kann man sagen, dass Seiferts Aquarelle sich durch Sparsamkeit und Geschlossenheit der Vision auszeichnen. Er lädt sich vergleichsweise sehr wenig auf den Teller.

Seifert war Eidetiker und hat Landschaften nie Pleinair gemalt, weil er, wie er sagte, Zeit zum Ein- und Ausatmen der Landschaft brauchte. Er malte also eine Landschaft erst, wenn sie vor seinem inneren Auge wieder erstand.  Das berühmteste Beispiel für diese Art des Umgangs mit Landschaft war Caspar David Friedrich.  Mit dem ist er immer wieder mal verglichen worden.  Nur hat Seifert von vorne herein sehr viel kleinere Brötchen gebacken. Während bei Friedrich kahle, knorrige Eichen in stummer Verzweiflung die Hände gen Himmel recken, sind es bei Seifert junge Bäumchen, die „früh gereift und zart und traurig“ zu einem Leitmotiv seiner Landschaftsmalerei wurden.

Landschaft mit runder Wolke 33,5 cm x 24 cm

Landschaft mit runder Wolke 24 x 33,5 cm

Zusammen mit im Hintergrund dunkel verschwimmenden Bäumen und Büschen gehörten sie eine Zeit lang zum ständigen Mobiliar seiner Aquarelle.  Obwohl selbst rechtschaffen unmusikalisch, hatte ich mich als Jugendlicher erkeckt über die „musikalische Struktur“ dieser Bilder zu spekulieren. Man findet es nicht unwahrscheinlich, dass er dazu am Klavier improvisiert hat: die dünnen Bäumchen entsprechen der rechten, die dunklen Büsche der linken Hand.

Herbstlandschaft, 31,5 cm x 23 cm

Herbstlandschaft, 23 x 31,5 cm

Aus dem gleichen Jahr (1935) stammt dieses Herbstbild, einmal ohne kahle Bäumchen.- Die herbstlich braunen Bäume tanzen aus der Reihe, repräsentieren ein letztes, mattes Aufbäumen herbstlicher Farben, dem das lautlose Echo einer Wolke antwortet: ein poetischer Gedanke.

Das Bild ist so abstrakt, dass sich die Experten nicht ganz einig sind, ob wir im Vordergrund eine Sandlandschaft vor uns haben oder vielleicht schon den ersten Schnee, durch den die gefrorene Ackerkrume hindurch scheint.

Zartblau, 39 cm x 27 cm

Zartblau, 27 x 39 cm

Selbstverständlich sind die Bäumchen nicht immer kahl. Hier finde ich die Grazie bezaubernd, mit der sie zueinander stehen.  Für die etwas heiterere Stimmung des Ganzen ist die zartblaue Zone am Horizont wichtig. Und überhaupt: auf engstem Raum so viel davon – Raum!

Man möchte vor dem Bild emphatisch ausrufen: Kommt alle zu mir, die ihr vor lauter ausgelassener Farbenfreude bei, sagen wir, Franz Ackermann nicht mehr wisst, wo euch der Kopf steht, ich werde euch erquicken.

Birken im Dunst, 24,5 cm x 31,5 cm

Birken im Dunst, 31,5  x 24,5 cm

Hier noch zwei hochformatige Aquarelle, die leider stark vergilbt sind und die der Künstler selbst sehr schätzte.  Auch sie sind aus dem Jahr 1939 und nach einer mehrtägigen Bootsfahrt mit einem Freund auf irgendeinem Fluss in Mitteldeutschland zwischen Leipzig und Berlin entstanden. Um herauszufinden, um welchen Fluss es sich handelte, wären aufwändigere Recherchen notwendig, und ich weiß nicht, ob sich das lohnte.

Als Carl Seifert diese Bilder nach vielen Jahren in unserem Hause wieder sah, sagte er mir, es sei „heiliger Geist“ darin, man könne um die Bäume herumgehen. Die Präzision mit der die Binsenbänke,  das Wasser und die Bäume imaginiert sind, hat etwas Faszinierendes. Heute (damals nicht) kann man ähnliche Effekte in der Fotografie erreichen. Aber gemalt schlägt diese Art von „Wahr-scheinlichkeit“ ganz anders in den Bann.

Die Düne, 24 cm x 30,7 cm

Die Düne, 30,5 x 24 cm

Mein Neffe bemerkte vor diesen beiden Bildern ganz richtig, dass da ja fast nichts drauf ist.  Eben dies ist die Einladung zum konzentrierten Sehen. Glücklicherweise kann man in diesem Blog die Bilder so wunderbar vergrößern!  Die Tatsache, dass sich im Wasser die Pflanzen darüber so unerwartet spiegeln, ist fast eine Einladung zur philosophischen Reflektion. Es war vielleicht eine Tendenz, dass mit der Zeit das Poetische, Stimmungsmäßige zurücktrat und die reine Räumlichkeit für Seifert zur Hauptsache wurde.

Flusslandschaft, 47 cm x 34 cm

Flusslandschaft, 34 x 47 cm

Das ist eine spätere Flusslandschaft, wahrscheinlich aus den 50er Jahren, die technisch auch brillant ist, aber nicht mehr so ganz den eigenen Ton trifft.                                                          Peter Seifert jun.

GRETE TSCHAPLOWITZ-SEIFERT ALS MALERIN

Selbstbildnis, Öl auf Holz,  27cm x32 cm

Selbstbildnis, Öl auf Holz, 32 x 27 cm

Das Bild stammt wohl noch aus den 20er Jahren und wurde familienintern nur „die wüste Gobi“ genannt. Die Spachteltechnik hat die Künstlerin auch später beibehalten, aber nie mehr so „wild“ verwendet wie hier. Wahrscheinlich wollte sie das weibliche Problem, schön sein zu wollen oder zu sollen, ein für alle Mal vom Tisch fegen.  Ihre Mutter war eine ausgesprochene Schönheit. Sie hatte von ihr die großen, dunklen und so sanft scheinenden Augen geerbt.  Auch davon ist hier nicht viel zu sehen, dafür glimmende Glut.

Sie selbst sprach vor diesem Bild von ihrer „Erdhaftigkeit“, und die gehörte wohl tatsächlich zu ihr. (Eine für sie typische Pointe: Was ist das? Fängt mit Po an und braucht viel Papier.- Ein Poet!)  Trotz der offensichtlichen Nähe zum Expressionismus möchte ich auf etwas hinweisen, was ich den „Blick der alten Meister“ nenne, einen unauffälligen Blick, der aus der Tiefe kommt und in die Tiefe geht, und dem jede Exaltation fremd ist. Bei Rembrandt, Rubens, Velazquez und vielen anderen findet man ihn.

Ihr wüstes Aussehen erinnert mich an eine Anekdote aus ihrer Jugendzeit. Sie habe angeblich bei einer Zugfahrt, als sie ein Abteil für sich und eine später zusteigende Freundin frei halten wollte, zu einer ausgefallenen Methode gegriffen: sie zerraufte sich die Haare, riss die Augen auf und schaute wild schielend aus dem Abteil. Man kann sich vorstellen wie potentielle Platzanwärter verschreckt zurückzuckten. Ich muss gestehen, dass mich die Art des Humors verwandt berührt: die Drastik der inszenierten Situationskomik (An ihr ist sicher eine Schauspielerin verloren gegangen und auch in gesetzteren Jahren war sie immer wieder zu practical jokes, schauspielerischem Schabernack aufgelegt!) und ihre psychologische Dimension.  Allerdings ist da auch das Elitäre, Exklusive, der intensive Wunsch, von Otto oder Otti Normalverbraucher bitte in Frieden gelassen zu werden. Aber vielleicht muss man dieses Verhalten bei einem Backfisch nicht überbewerten.

Ernestine Stark, Öl auf Pappe, 37,5 cm x 47,5 cm

Ernestine Stark, Öl auf Pappe, 47,5  x 37,5 cm

Leider wissen wir vorläufig sehr wenig über die porträtierte Frau. Ich meine mich zu erinnern, von meiner Großmutter gehört zu haben, das sei das Porträt einer Freundin. Brieflich sinnierte sie einmal darüber, dass all ihre Freundschaften mit Ostdeutschen gewesen seien. Das Herbe, Dunkle, Schwere, Schwermütige würde auch im vorliegenden Fall dafür sprechen.

„Feundschaftsathlet“ war eine von ihr geprägte Formulierung, die  sicher nicht zuletzt auf sie selbst zutraf. Mein Vater erzählte wiederholt davon, dass sie besonders auf jüngere Frauen eine starke Anziehung ausübte. Ich vermute, weil sie für Frauen, die nach Modellen der Emanzipation suchten, ein überzeugendes Beispiel war:  Sie war sehr selbstständig, vor allem auch geistig selbstständig, höchst resolut und hatte doch etwas sehr Feminines. Sie hatte viel von der „heftigen Zärtlichkeit“ ihrer Mutter geerbt. Das gehörte zu ihrer slawischen Seite, die ein Grund dafür war, dass sie mit dem in dieser Hinsicht doch anders gelagerten westfälischen Anteil unserer Familie etwas Mühe hatte.

Herbert Noll, Öl auf Pappe, 65 cm x 35 cm

Herbert Noll, Öl auf Pappe, 35 x 65 cm

Irgendwann in den 30er Jahren malte sie den Husumer Gelehrten Herbert Noll, der inmitten der ringsum ansteigenden Flut des Rassenwahns Nachforschungen darüber anstellte, wie die Maya Sonnenfinsternisse verzeichnet haben.

Kinderbildnis, Öl auf Holz, 30 cm x 37 cm

Kinderbildnis, Öl auf Holz,
37 x 30 cm

Kinderbildnisse als Plastiken hat die Tschaplowitz wiederholt geschaffen, aber diese fragend schauende Kleine ist das einzige mir bekannte von ihr gemalte Porträt eines Kindes. Die Künstlerin ist wieder zur Spachteltechnik  zurückgekehrt und ich vermute, das Bild ist in den 50er Jahren entstanden. Verschiedene Eigentümlichkeiten, vor allem wie der Hintergrund gemalt ist, lassen Zweifel an der Zuschreibung aufkommen. Wir nehmen das Bild dennoch hier auf.

Aus der Naumburger Wohnung meiner Großmutter habe ich noch andere von ihr gemalte Bilder in Erinnerung, vor allem ein poetisches Phantasiebildnis ihres Ahnen Carl Heer. In unserer Wohnung in Münster hing lange Zeit ein fast monochromes und einigermaßen erschütterndes Bildnis ihres Mannes Carl Seifert, das wohl unmittelbar nach dem Krieg entstanden sein muss. Ich hoffe, diese Bilder mit der Zeit ausfindig machen und hier veröffentlichen zu können.                       Peter Seifert jun.